Sicherheitstechnische Kennzahlen: Grundlagen

Sicherheitstechnische Kennzahlen für den Explosionsschutz

Nach §3 der Betriebssicherheitsverordnung (RL 99/92/EG) hat der Arbeitsgeber „bei der Gefährdungsbeurteilung nach § 5 des Arbeitsschutzgesetzes unter Berücksichtigung der Anhänge 1 bis 5, des § 7 der Gefahrstoffverordnung und der allgemeinen Grundsätze des § 4 des Arbeitsschutzgesetzes die notwendigen Maßnahmen für die sichere Bereitstellung und Benutzung der Arbeitsmittel zu ermitteln. Dabei hat er insbesondere die Gefährdungen zu berücksichtigen, die mit der Benutzung des Arbeitsmittels selbst verbunden sind und die am Arbeitsplatz durch Wechselwirkungen der Arbeitsmittel untereinander oder mit Arbeitsstoffen oder der Arbeitsumgebung hervorgerufen werden.“

Kann nach den Bestimmungen der §§ 7 und 12 der Gefahrstoffverordnung die Bildung gefährlicher explosionsfähiger Atmosphären nicht sicher verhindert werden, hat der Arbeitgeber zu beurteilen:

  1. die Wahrscheinlichkeit und die Dauer des Auftretens gefährlicher explosionsfähiger Atmosphären,
  2. die Wahrscheinlichkeit des Vorhandenseins, der Aktivierung und des Wirksamwerdens von Zündquellen einschließlich elektrostatischer Entladungen und
  3. das Ausmaß der zu erwartenden Auswirkungen von Explosionen.

Die daraus resultierenden Explosionsschutzkonzepte basieren darauf, das Explosionsdreieck

aus Brennstoff, Luft und Zündquelle zu durchbrechen. Dies ist mit folgenden Prinzipien möglich:

  • Primärer Explosionsschutz: Das Auftreten eines explosionsfähigen Gemisches wird ausreichend sicher vermieden, z.B. durch Verdrängung von Sauerstoff aus dem System.
  • Sekundärer Explosionsschutz: Das Auftreten explosionsfähiger Gemische wird zugelassen. Abhängig von der Wahrscheinlichkeit für das Auftreten solcher Gemische werden Anforderungen an die Vermeidung wirksamer Zündquellen gestellt.
  • Tertiärer Explosionsschutz: Das Auftreten explosionsfähiger Gemische und das gleichzeitige Auftreten wirksamer Zündquellen ist zulässig. Eine Explosion findet statt, die Auswirkung sowie die Ausbreitung der Explosion wird jedoch begrenzt.

Hierbei kommen folgende Maßnahmen in Betracht:

  1. Druckfeste Bauweise: Die Anlage ist für den maximalen Explosionsüberdruck ausgelegt.
  2. Druckstoßfeste Bauweise: Die Anlage ist für einen reduzierten maximalen Explosionsüberdruck ausgelegt und mit Einrichtungen zur Druckentlastung ausgerüstet. Eine Verformung der Anlagenteile ist zulässig, ein unkontrolliertes Aufreißen jedoch nicht.
  3. Explosionsunterdrückung: Mit aktiven Sensoren wird das Anlaufen einer Explosion erkannt und um die Reaktion abzubrechen wird Löschmittel in die Anlage eingebracht.
  4. Explosionstechnische Entkopplung: Mit aktiven (z.B. Löschmittelsperre) oder passiven (z.B. Explosionsschutzventil) Schutzsystemen wird die Übertragung einer Explosion von einem Anlagenteil in einen anderen vermieden.

Diese Schutzprinzipien können sowohl einzeln als auch kombiniert angewendet werden, um den erforderlichen Schutz der Anlage zu gewährleisten.

Das gewählte Schutzkonzept sollte nach Möglichkeit so gewählt werden, dass das Betriebsverhalten der Anlage nicht gestört wird.

Ergänzt werden die Schutzkonzepte und die damit verbundenen Maßnahmen sowohl durch eine entsprechende regelmäßige technische Wartung als auch zusätzlich durch weitergehende organisatorische Maßnahmen (z.B.: Wartungsanweisungen, Betriebsanweisungen, Schulung der Mitarbeiter)

Die Auswahl der umzusetzenden Schutzprinzipien lässt sich beispielsweise durch eine systematische Risikobeurteilung z.B. nach EN 1127-1 durchführen. Anhand eines Flussdiagramm aus EN 1050 sind dabei folgende Aspekte zu diskutieren:

  • Erkennen von Gefährdungen: Das Explosionsrisiko, welches von einer Anlage ausgeht, ist direkt mit den in ihr gehandhabten Stoffen verknüpft. Primär ist zu klären, ob die eingesetzten Stoffe explosionsfähig sind oder nicht.
  • Bewerten, ob explosionsfähige Gemische/Atmosphären möglich sind: Die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten explosionsfähiger Gemische ist für die verschiedenen Betriebszustände in einer Zoneneinteilung zu beschreiben. Zu betrachtende Prozesszustände sind neben dem Normalbetrieb auch der An- und Abfahrvorgang sowie häufige und seltene Betriebsstörungen
  • Ermitteln relevanter Zündquellen: Abhängig von der Zoneneinteilung ist die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten wirksamer Zündquellen zu bewerten. Dabei sind für die Betriebsmittel häufige und seltene Fehler zu berücksichtigen.
  • Ermittlung potentieller Explosionsauswirkungen: Kann das zeitgleiche Auftreten explosionsfähiger Gemische und wirksamer Zündquellen nicht ausreichend sicher ausgeschlossen werden, sind die potentiellen Explosionen in ihren Auswirkungen zu begrenzen.
  • Bewertung der Maßnahmen zur Risikoreduzierung: Die vorgesehen Maßnahmen sind in ihrer Gesamtheit zu würdigen und ggfs. ist die Bewertung iterativ zu durchlaufen.

Vielfach wird der Fehler begangen, ausgehend von einer möglichen Zündgefahr in einem Teil der Anlage, einen Explosionsschutz für die gesamte Anlage zu installieren, was erhebliche Aufwendungen nach sich ziehen kann. Gerade durch eine systematische Gefahrenquellenanalyse lassen sich jedoch Bereiche mit wirksamen Zündquellen recht genau eingrenzen. Diese Bereiche können z.B. durch Maßnahmen der explosionstechnischen Entkopplung von anderen Bereichen getrennt werden. Hier ist kein konstruktiver Explosionsschutz mehr erforderlich, so dass weiterhin das Konzept der Vermeidung von Zündquellen verfolgt werden kann.

Für Vielstoffanlagen, z.B. in der Pharmazie oder Kunststoffindustrie, bedeutet die Ermittlung der Kennzahlen einen nicht unerheblichen Aufwand. Nicht alle Kennzahlen sind in der Literatur veröffentlicht und die in Normtestverfahren ermittelten Größen hängen von den konkret vorliegenden Prozessbedingungen ab. Zudem müssen vor dem Einsatz neuer Stoffe oder Stoffmodifikationen die jeweiligen Kennzahlen bestimmt werden. Es ist jedoch möglich geeignete Grenzparameter festzulegen, so dass sich der Ermittlungsaufwand in Abhängigkeit des Schutzkonzeptes in vertretbaren Grenzen hält. Innerhalb dieser Einsatzgrenzen können dann auch neue Stoffe in den Anlagen sicher gehandhabt werden.